Als mein Vater, ein Partner und ich 1973 die Riesmetall GmbH anmeldeten, da wussten wir nicht einmal, wie man „Kalwanig“ richtig schreibt. Die Gründung einer Lohngalvanik war auch nicht ein bestimmtes Ziel, mein Vater und der Partner wollten einfach nur ein Unternehmen aufbauen, um selbstständige Produzenten zu werden. Obwohl beide gute und einträgliche Positionen in der Industrie hatten, war das eben ein Traum, den sie sich nun erfüllen wollten. Ich war damals 21 Jahre alt und Maschinenbau-Student.

Der Einstieg in die Galvanotechnik kam durch einen Hinweis aus einem Automobil-Zulieferbetrieb in der Nähe von Nördlingen zustande, der mit seinen Veredlern unzufrieden war. Schnell war mit dem Gebäude einer ehemaligen Mosterei ein Standort gefunden und es wurde ein qualifizierter Galvano-Fachmann eingestellt, der die technischen Einrichtungen konfigurieren sollte.

Mit diesen Entscheidungen hatten wir schon die ersten roten Ampeln überfahren. Das Gebäude war viel zu klein und kaum geeignet für eine Trommelverzinkerei, aber das ist unserem Fachmann nicht aufgefallen. Er hatte beste Kenntnisse über Chemie und Physik, aber keine Ahnung von den Anforderungen und Marktverhältnissen der Lohnverzinkung und das galt ebenso für seine rasch wechselnden Nachfolger. Derweil beobachteten die sich über unsere Galvanik-Neugründung begeistert zeigenden Chemie-Fachfirmen mit Interesse unser aussichtsloses Experiment. Sie freuten sich über die ständigen, umsatzträchtigen Neuansätze der laufend verdorbenen Zinkbäder, die viel zu klein waren und nicht dauerhaft funktionieren konnten, weil die Einschleppung aus der Vorbehandlung wegen der aus Platzgründen unzureichenden Spültechnik zu hoch war.

So ging das zwei Jahre und es wurde eine Menge Geld verbrannt. Hinwerfen oder neu anfangen: es musste etwas geschehen! Da kam uns der Zufall zu Hilfe. Wir bekamen Kontakt zu einer Lohngalvanik aus dem Raum Stuttgart, der die Aufsichtsbehörden buchstäblich den Hahn abgedreht hatten, woraufhin wir als Unterlieferant einen Teil der Kleinteileverzinkung übernommen haben. Auf dieser Basis konnten wir dann ein neues Gebäude finanzieren und darin eine für die damalige Zeit sehr große Trommelanlage planen.

Mitten in dieser Umbruchsphase starb 1976 sehr plötzlich mein Vater. Daraufhin habe ich mein Studium nach dem Vordiplom abgebrochen und bin in die Riesmetall GmbH voll eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt war mir aber nicht klar, dass über 10 Jahre mit nervenzehrenden 12-Stunden-Tagen vor mir lagen.

Mit den neuen Produktionsmöglichkeiten stellte sich ab 1977 der Erfolg ein, schon bald sind wir in den 3-Schicht-Betrieb übergegangen. 1980 kam eine zweite, nochmals größere Trommelanlage hinzu, bis zu 40 Tonnen Schrauben am Tag konnten nun vollautomatisch mit geringstem Personalaufwand verzinkt werden. Zwei LKW-Züge waren täglich unterwegs, um Futter für die gefräßigen Anlagen heranzukarren.

Die Technik wurde zur Leistungssteigerung laufend erweitert, die Ionenaustauscher-Anlage zur Spülwasser-Kreislaufführung musste vergrößert werden und zur Kühlung der Bäder, die ständig am Leistungslimit arbeiteten, wurde eine Hochtemperatur-Wärmepumpe angeschafft, die mit der Abwärme die Vorbehandlung beheizen konnte.
Parallel dazu nahm die Komplexität der gesamten Technik enorm zu, wir mussten geschultes Wartungspersonal einstellen und die Antriebsleistungen der Nebenaggregate für Spülwassertechnik und Kühlung machten sich deutlich auf unseren Energierechnungen bemerkbar.

1982 sind wir in die digitale Datenverarbeitung eingestiegen, das Büro zog mit dem Automatisierungsgrad der Produktion gleich. So waren wir gut gerüstet für die goldenen 80er Jahre, die mit dem Boom der deutschen Wiedervereinigung ab 1989 in ein wahres Feuerwerk übergingen.

1993 aber war die Party zu Ende, die Neuordnung Europas und später der ganzen Welt kam in Gang, ganze Industriebranchen verlagerten sich in Richtung Osten. Unsere Umsätze erodierten von Jahr zu Jahr, wir mussten von drei auf zwei Schichten heruntergehen. Sollten wir uns dem Treck gen Osten anschließen?

Das war keine leichte Entscheidung. Aber zum Glück hatte ja unser Computer über die Jahre immer mehr Daten nicht nur aus der Auftragsabwicklung, sondern auch aus der Produktion gesammelt und miteinander verknüpft. Über 100 Zähler lieferten Daten über Zeit-, Energie- und Wasserverbräuche, exakte Mengenangaben der eingesetzten Chemikalien kamen aus den monatlichen Inventuren hinzu und so war ein umfassendes und klares Bild unserer betrieblichen Leistung entstanden. Wir wussten, womit wir Geld verdienten und was sich nicht lohnte.

Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Verlagerung der Schraubenindustrie nicht in Osteuropa haltmachen würde, sondern in Richtung Fernost weiterging. Die Automobilindustrie blieb wegen ihrer hoch differenzierten Zulieferindustrie in Europa präsent und konnte wegen der global steigenden Nachfrage immer dreister und unverschämter gegenüber den Lieferanten auftreten. Das wollte ich mir nicht mehr länger bieten lassen, außerdem war und bin ich der Meinung, dass die in der Autoindustrie eingeführten Zinklegierungen ein technologischer Irrweg sind.

Ich habe mich daher entschieden, den Standort Süddeutschland beizubehalten und Riesmetall mit einer gezielten Strategie den radikalen Veränderungen anzupassen. In einem ersten Schritt wurden alle Kredite restlos getilgt. Dann wurden alle technischen Einrichtungen, die nur für den Schichtbetrieb notwendig waren, abgerüstet. Statt der Spülwasser-Kreislaufanlage wurden Spülkaskaden eingerichtet, die Kühlung konnte ganz entfallen. Die Wartung konnte vereinfacht werden, der Energieverbrauch ging zurück. Alle Fahrzeuge, einschließlich des LKWs, werden nach und nach in den kostengünstigen Oldtimerstatus überführt. Das unsinnige ISO 9000 Zertifikat flog in den Papierkorb.

Übrig blieben großzügig dimensionierte, gepflegte und produktive Verzinkungs-anlagen, die verschleißarm in Normalarbeitszeit betrieben werden sowie eine hochwirksame Qualitätssicherung, die auf dem persönlichen Engagement aller Mitarbeiter beruht.

Das ist Slow Plating: Produktqualität und Lebenszufriedenheit stehen in Einklang.